Resilienz und Risiko
Über den Mut zur Angst und Spaß am Unternehmertum.
Andreas Wieczorke ist Geschäftsführer der LIMES Service GmbH. Als Gründerexperte investiert er in Start-Ups bei denen er sich selbst einbringen kann. Neben dem Tagesgeschäft engagiert sich Andreas Wieczorke in mehreren Ehrenämtern: Bereits in dritter Amtsperiode als Handelsrichter v.a. zum Thema Wettbewerbsrecht oder als Mitglied der Business Angels Deutschland und Mitglied des Wirtschaftsrates der CDU. Dort versucht er „die Stimme der Unternehmen in die Parteien zu tragen“.
Nach einer kaufmännischen Lehre entschloss er sich, sein Abitur nachzuholen und zu studieren. Seit dem erfolgreichen Abschluss ist er nun seit fast 30 Jahren unternehmerisch tätig, leitete u.a. den Flughafen Parchim und hat einige Firmen gekauft und verkauft.
Wie und wo wir Andreas Wieczorke kennengelernt haben
Susanne Krause ist Veranstaltungsorganisatorin beim Forschungsverbund MV e. V. (FMV). Ab und zu lädt sie zum (digitalen) Austausch über die Kernthemen des FMV. Als Experten zu den Themen Existenzgründung und Start-Up-Förderung lud sie Andreas Wieczorke zum digitalen Spin-Off Breakfast.
Über den Forschungsverbund MV e. V. (FMV)
Der FMV versteht sich als „Ideenmakler“. Der Verein vernetzt Gründer*innen und Entscheider*innen aus Wirtschaft, Forschung und Bildung. Er arbeitet seit 2013 als autorisiertes Beratungsunternehmen für das Förderprogramm »BMWi-Innovationsgutscheine – GoInno« und unterstützt kleinere Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und des Handwerks bei der Einführung neuer Produktionsverfahren der Produktentwicklung und Markteinführung. Dazu gehören Analysen zur Marktfähigkeit von geplanten Produkten, Fahrpläne für die Umsetzung, Finanzierungspläne für die Entwicklung oder die Suche nach Fördermitteln und deren Beantragung, wie z.B. ZIM, ZIM NEMO und die Verbundförderung des Landes MV.
Darüber hinaus coacht der FMV Student*innen, Absolvent*innen und Forscher*innen bei der Beantragung der Förderprogramme EXIST-Gründerstipendium und EXIST-Forschungstransfer in Mecklenburg-Vorpommern. Im Portfolio: administrative und gründungsrelevante Fragen, Suche nach qualifizierten Coaches/Gründungsberater*innen im bundesweiten Beraterpool, Unterstützung bei der Erstellung des Businessplans, Besteuerung von Stipendien, die Beschaffung von Gegenständen und die Vergabe von Aufträgen.
Learnings teilen – das Interview
Gründerexperte Andreas Wieczorke stand beim Spin-Off Breakfast des FMV Rede und Antwort. Da wir seine Learnings teilen wollen, haben wir um ein Interview gebeten. Hier die Fragen:
Alle Fragen auf einen Blick – table of content
- Was zeichnet einen Unternehmer (oder eine Unternehmerin) aus?
- Womit beschäftigen Sie sich gerade?
- Was sind Ihre lessons learned? Was sind die Gründe für unternehmerisches Scheitern?
- Wie hoch ist das finanzielle Risiko?
- Erzählen Sie von Ihren Ideen oder halten Sie es mit der Verschwiegenheit?
- Haben Sie Aufträge auch schon mal abgelehnt?
Was zeichnet einen Unternehmer (oder eine Unternehmerin) aus?
Andreas Wieczorke
Neben allem, was man so googeln kann?! Er (oder sie) langweilt sich schnell. Das, denke ich, ist ein typisches Zeichen für Menschen mit Unternehmerpersönlichkeit.
Womit beschäftigen Sie sich gerade?
Andreas Wieczorke
Ein wesentlicher Teil meiner Tätigkeiten ist die Zusammenarbeit mit Kalo, ein Teil der Noventic-Gruppe. Hier beschäftigen wir uns mit der klimaintelligenten Steuerung von Immobilien. Darüber hinaus bin ich an fünf Start-Ups beteiligt, u.a. an einem patentgeschützten Produkt für die Wohnungswirtschaft oder auch an einer Firma für Outsourcing- und Digitalisierungsprojekte. Was meine Beteiligungen angeht, verstehe ich mich eher als aktiven Gründer, ein reiner (Finanz-) Investor bin ich definitiv nicht.
Im Bereich der Wohnungswirtschaft befassen wir uns z.B. mit der intelligenten Steuerung von Immobilien, d.h. wir nehmen alle Bereiche mit Innovationspotenzial unter die Lupe, analysieren und entwickeln digitale Lösungen – von der Technik und Steuerung der Heizungsanlage bis zum Nutzerverhalten mit einem Einsparpotenzial von unfassbaren 15 bis 20% der eingesetzten Primärenergie. Aufgrund der EED (Energy Efficiency Directive) muss bis Ende 2027 flächendeckend fernauslesbare Technik eingesetzt werden, die die heutige konventionelle Technik ablöst.
Mit der neuen Technologie ist dann erstmals eine Information der Nutzer über ihr Verbrauchsverhalten (Energieverbrauch) in Echtzeit möglich. Um die Innovationen auch an den Mann bzw. die Frau zu bringen, entwickeln wir derzeit eine Kommunikationsstrategie für 15 Persönlichkeitstypen (Personas), damit wir das individuelle Nutzerverhalten optimal steuern können.
Eines meiner jüngsten „Babies“ ist sawayo.de. Unter dem Motto „Unternehmerpflichten leicht gemacht“ entwickeln wir einen digitalen Lotsen für Geschäftsführer*innen und Selbstständige. Die Unternehmersoftware schließt eine Marktlücke, indem sie ein Paket aus allen regulatorischen Anforderungen an Unternehmen schnürt.
Das fängt bei Arbeits- und Datenschutz an, geht über Hygienerichtlinien und Betriebsanweisungen bis zu Erste Hilfe, Unterschriftenlisten, digitaler Zeiterfassung und rechtlichen Gegebenheiten. Wir unterstützen Unternehmen dabei, revisions- und rechtssicher zu arbeiten. Denn tut man das nicht, kann man ziemlich schnell und abrupt scheitern. Zusätzlich sparen die Unternehmer*innen mit unserer Software Zeit und Energie, so dass sie sich mehr auf unternehmerisches Handeln, auf ihr Kerngeschäft, fokussieren können. Sie haben alles im Griff inklusive Zeiterfassung, Kontrolle von Abos und Verträgen bis hin zu den bereits genannten behördlichen Regularien.
Ich nenne mal ein Beispiel: Meine Frau hat mal ein Autohaus betrieben. Einer der Mitarbeiter rammte mit einem Kundenauto ein weiteres Kundenauto. Und hatte zu diesem Zeitpunkt keinen Führerschein und es niemanden gesagt. Was viele nicht wissen: Sobald im Unternehmen Fahrzeuge betrieblich genutzt werden, müssen Sie als Unternehmer*in regelmäßig die Führerscheine prüfen. Tut man das nicht, verliert man nicht nur den Versicherungsschutz, sondern begeht auch eine Ordnungswidrigkeit. Zum Glück hatte meine Frau den Mitarbeiter über seine Pflichten erst kurz zuvor unterwiesen und den Führerschein geprüft und war somit aus der Haftung. Solche und andere Erlebnisse haben bei mir die Idee entstehen lassen, dass man als Unternehmer unbedingt eine interaktive, digitale und möglichst vollständige Checkliste mit automatisierter Terminüberwachung braucht.
Was sind Ihre lessons learned? Was sind die Gründe für unternehmerisches Scheitern?
Andreas Wieczorke
Eine Idee wird erst gut, wenn man sie umgesetzt hat und ausreichend Kundenaufträge bekommt. Noch ein Beispiel: Mit cutie-boxes.de hatten wir eine tolle Idee: Gemeinsam mit einer Rostocker Druckerei entwarfen wir eine besondere Verpackungsschachtel. Diese können Unternehmen z.B. aus der Tourismusbranche in unserem Onlineshop bestellen und sie mit ihren Werbemitteln und give aways bestücken.
Mit dieser Idee und einem Protoypen fuhren wir zur Internationalen Tourismusbörse (ITB) nach Berlin, haben ihn Tourismusverantwortlichen präsentiert und alle waren begeistert. Wir auch. Nur haben wir nicht bedacht, dass Hoteldirektoren meist gar nicht selbst entscheiden dürfen. Und das führte zu sehr langen und komplizierten Entscheidungsverläufen.
Das heißt, nicht nur die Markttauglichkeit ist entscheidend, sondern auch die Frage wieviel finanzielles und persönliches Durchhaltevermögen man hat, um z.B. solche langwierigen Entscheidungsprozesse zu überstehen. Gerade in der Zusammenarbeit mit Konzernen dauern diese Prozesse meist extrem lange. Und sobald ein Mitarbeiter wechselt, muss man oft wieder von vorne anfangen.
Auch das ist uns schon passiert. Der Mitarbeiter, mit dem wir einen Vertrag ausgehandelt hatten, wurde tatsächlich entlassen und wir standen wieder bei Null. Weil wir aber von der Qualität unserer Leistung überzeugt waren, haben wir uns entschlossen auf eigenes Risiko weiterzumachen und konnten schließlich erfolgreich einen Vertrag abschließen.
Wie hoch ist das finanzielle Risiko?
Andreas Wieczorke
Ein Geschäftspartner hatte hohen Bedarf an Berufskraftfahrern und fragte mich, ob ich helfen könne. Ich sagte: „Klar, kann ich da was machen.“, hatte aber überhaupt noch keine konkrete Lösung.
Ich rief dann meine Co-Gründerin Ulrike Mix an und fragte sie „Hast Du eine Idee, wie wir hier in den Markt eintreten können?“. Und ja, sie hatte eine Idee und den Mut und startete sehr hands-on mit ebay-Kleinanzeigen, facebook-Kampagnen und sehr viel Arbeitseinsatz.
Innerhalb von drei Monaten konnten wir den Auftrag erfüllen, waren allerdings in Vorleistung gegangen, denn erst nach sechs Monaten kam es zum Vertragsabschluss mit dem Kunden. Die gesamte Arbeitsleistung und die Werbeausgaben waren somit unser persönliches finanzielles Risiko, dass sich aber schlussendlich bezahlt gemacht hat.
Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge, den ich als Unternehmer oft gemacht habe. Ich denke, als Gründer*in sollte ich bei einer Gründung mit einem Kapitalbedarf von ca. 250.000 Euro rechnen. Vor 12 Jahren musste auch ich mich aus einem geschäftlichen Misserfolg wieder hocharbeiten – ich habe damals den finanziellen Bedarf einfach unterschätzt.
Risiko und Erfolg liegen daher nicht nur dicht beieinander, sondern bedingen sich sogar. Und es wird deutlich mehr Luft benötigt als man meint, finanzielles Durchhaltevermögen, Ehrgeiz, Willensstärke, Resilienz, Ideen und viel viel viel Arbeit.
Es gibt neben den persönlichen Eigenschaften natürlich noch so viele weitere wichtige Faktoren. So kann es sehr hilfreich sein, bereits vor dem zu Ende entwickelten Produkt über Umfragen zu prüfen, ob eine Idee überhaupt und wirklich markttauglich ist. Empfehlenswert ist es, potenzielle Kundinnen und Kunden frühzeitig in die Produktentwicklung einzubinden.
Zusätzlich kann es Sinn machen, schon im Vorfeld in Werbung zu investieren. Man kann zum Beispiel Landing Pages bewerben, um herauszufinden, ob und wer auf die Werbung bzw. auf das Produkt, überhaupt reagieren.
Erzählen Sie von Ihren Ideen oder halten Sie es mit der Verschwiegenheit?
Andreas Wieczorke
Da hat sich meine Haltung um 180 Grad gedreht. Früher habe ich alles für mich behalten vor lauter Sorge, jemand könnte mir meine Idee stehlen. Heute sehe ich das anders. Eine Idee an sich ist interessant, aber wertlos. Erst eine umgesetzte Idee hat einen Wert. Und es kommt ein wesentlicher Faktor hinzu. Wenn ich niemandem erzähle, was ich tue, verpasse ich Chancen.
Man muss Netzwerken und kommunizieren, was man tut, denn viele Menschen haben Ideen und Bedürfnisse, die man möglicherweise jetzt sofort oder später erfüllen kann. Wenn man denen nicht sagt, was man tut, ist das schade. Und nicht zu vergessen – durch Kommunikation bekommen wir neue Sichtweisen und daraus können super Ideen entstehen. Mittlerweile sehen das übrigens auch meine sehr viel jüngeren Co-Gründer so.
Haben Sie auch schon Aufträge abgelehnt?
Andreas Wieczorke
Ein Unternehmer muss die Skalierbarkeit im Blick haben. Sie können nicht in Sekundenschnelle von null auf hundert wachsen und dann auch noch Top-Qualität liefern. Unsere Programmierer sitzen zum Teil z.B. in Weißrussland. Müssten wir plötzlich statt fünf 100 von ihnen beschäftigen, ist die Frage wie wir das gesteuert kriegen. Auf allen Hochzeiten tanzen zu wollen ist nicht zielführend.
Ich empfehle eher sich von Anfang an Partner zu suchen, um bei Bedarf die Arbeitslast auf mehrere Schultern verteilen zu können. Wir haben schon bewusst und sehr überlegt lukrative Aufträge abgelehnt, weil die Qualität der Kernprojekte gelitten hätte.
Insgesamt muss ich sagen, dass ich durch meine Familie immer große Unterstützung hatte. Ein Faktor, den man unbedingt berücksichtigen muss. Meine Frau kommt auch aus einer Unternehmerfamilie. Da ist man mit Niederlagen und dem wieder Hochkommen hart im Nehmen und findet vor allem das notwendige Verständnis für all die Herausforderungen aber auch schönen Momente des Unternehmertums. Und eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass man heute in unserer komplexen und schnellen Welt als Einzelkämpfer kaum noch erfolgreich sein kann – nur im Team sind wir stark.
Vielen Dank für Ihre Zeit.
Das Gespräch führte Gesine Cody (innoXperts Strategie, Kommunikation & Senior Copy Writer)