Von der Führungskraft zum Innovation Leader
Wo sind eigentlich die innovativen Führungskräfte in Unternehmen?
Ein Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Habelt.
Digitalisierung, Grüne Geschäftsmodelle, Intrapreneurship und Entrepreneurship gehören zu den aktuellsten Kernbereichen der Hochschule München, die als eine der größten Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Deutschland mit 11 An-Instituten (wie Maschinelles Lernen), ca. 18.000 Studierenden und 500 Professoren lehrt und forscht.
Prof. Dr. Wolfgang Habelt ist Professor für Innovationsmanagement / Unternehmensentwicklung (modern Innopreneurship) an der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre und Senator der Hochschule München. Seit Oktober 2019 ist er Vorsitzender des Senats der Hochschule München und stellvertretender Vorsitzender des Hochschulrats. Sein aktuelles Forschungsgebiet: „Next Organizations / Future Strategies“.
Alle Fragen auf einen Blick – table of content
- Was bedeutet Innovation?
- Warum engagieren Sie sich beruflich für das Thema Innovation?
- Sind Entrepreneurship, Intrapreneurship oder agile Business Innovation in den Köpfen deutscher Unternehmen angekommen?
- Gibt es einen Unterschied zwischen den Generationen?
- Was macht Unternehmen innovationsfähig und warum sollten sie es sein?
- Sind Effizienz und Kreativität nicht ein Widerspruch in sich?
- Mit welchen Anreizen können Unternehmen den Innovationsspirit fördern?
- Eignet sich Innovation für jede Branche und Betriebsgröße?
- Was darf Innovationsfähigkeit kosten?
- Von der Analyse bis zur Umsetzung: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Innovationstools?
- Was können Innovationsagenturen für Unternehmen leisten?
- Wie schwierig ist es für Unternehmen den externen „Innovationsdoktor“ zu rufen?
- Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmen aus?
- Für wie wettbewerbsfähig halten Sie Studierende aus Deutschland im internationalen Vergleich?
- Welche Unterschiede nehmen Sie zwischen Studierenden aus dem Inland und dem Ausland wahr?
- Kann eine Hochschule als Institution mit der Dynamik digitaler Transformation überhaupt mithalten?
- Absolvent*innen des Masterstudiengangs Applied Business Innovation landen bei namhaften Unternehmen, gerade im Raum München. Wie gut sind Absolvent*innen der HM auf den Job als Asset Manager*in, Vorstandsassistent*in oder im Strategischen Controlling vorbereitet?
- Wie stark sind Frauen im Bereich Innovation vertreten?
- Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Was bedeutet Innovation?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Innovation ist ein Anspruch für „Musterbrechen & Ideengenerieren“ (im Sinne von Proaktivität, Antizipation und Visionieren), um neue Konzepte für Produkte, Dienstleistungen, aber auch für Kulturen und Strukturen eines Unternehmens aufzusetzen.
Mit Innovation wirken Unternehmen antizipativ bzw. der Zukunft zugewandter, um sich für die Implementierung neuer Ideen (unter „trial and error“-Bedingungen) zu öffnen und mittelfristig effektiver zu arbeiten („fit für die Zukunft“), aber vor allem auch „anders, spannender, inspirierender“ als Arbeitgeber und als Marke wahrgenommen zu werden.
Allerdings: Die meisten Führungskräfte sind heutzutage in ihrem Alltag so gefangen und beansprucht, dass sie i.d.R. als Innovatoren ausfallen, da sie Innovation als viel zu unsicher empfinden oder als Exklusivaufgabe eines F&E-Bereiches verstehen.
Viele Unternehmen präsentieren sich zwar als sehr effizient, aber auch als sehr austauschbar, oftmals gar langweilig in ihren Strukturen und Kulturen. Ein Grund, warum sich junge Menschen der „Startup-Gemeinschaft“ zuwenden, um nicht von einem klassischen „Boring-Company-Mindset“ (zu früh) vereinnahmt zu werden.
Warum engagieren Sie sich beruflich für das Thema Innovation?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Meine Vorgehensweise orientiert sich u.a. am Managementmodell der Universität St. Gallen und dem Transformationsmodell von Burke & Litwin (die beide zahlreiche Aktualisierungen durchlaufen haben). Beiden Ansätzen liegt ein Denken in der Vernetzung von „Strategie, Struktur, Kultur und Prozesse“ zugrunde, aus dem man wiederum ein entwicklungsorientiertes bzw. agiles Handeln ableitet, das einerseits „Bestehendes verfeinert“ (single loop) und andererseits „Neues gestaltet“ (double loop). Heute würde man dies als „ambidextre“ Kompetenz bezeichnen.
Vielfach steht in der Startup-Community das „Business Model“ (double loop) im Mittelpunkt; in klassischen Unternehmen wiederum die Durchsetzung einer „Effizienzideologie“ (single loop). Die Forschung in unserem Bereich fokussiert den „Motor eines Unternehmens“ (egal ob startup-, mittelständisch- oder konzernbasiert), womit wir das Struktur- und Kultursystem einer Organisation ansprechen, das wesentlich dafür verantwortlich ist, in welcher Qualität (Zufriedenheit) und Leidenschaft (Bindung) Führungskräfte & Mitarbeiterende Engagement bereitstellen: Wenn dieser „Motor stottert“ – und das tut er vielfach – werden zumindest Kreativitätsfähigkeiten und Ideenförderung verhindert.
Diese Unternehmen „verlernen Innovation“ und können dies auch nicht spontan bzw. kurzfristig zu einem späteren Zeitpunkt – problemlos selbst – nachholen, gegebenenfalls benötigen sie externe Beratungshilfe („innovation doctor“).
Bildlich entspricht der Unternehmensmotor noch vielfach einem „klassischen Verbrennungsmotor“: Allerdings suchen mehr und mehr Mitarbeitende einen Motor, der alternativ angetrieben wird, beispielsweise durch „digitale Mobilität“ („dMobility“), d.h. eine hohe Beweglichkeit, basierend auf Eigenständigkeit, Kreativität und Digitalität und sie suchen dazu Führungskräfte, also „Andockstationen“ bzw. Partner, die als „Innovation Leader“ ein Vorbild abgeben.
Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch selbst Innovationsideen haben und diese Ideen „selber“ in die Umsetzung bringen (Intrapreneure): Damit übernimmt diese Art von „Leader“ Implementierungsverantwortung für seine Innovationsidee.
Das seit Jahrzehnten so überhöht in der Diskussion stehende Management von Personal ist keine Kernaufgabe eines Innovation Leader: Dies ist ein Kennzeichen klassischer Projektmanager sowie von Führungskräften (einschließlich der Geschäftsführungen), die in diesem Management von Personal ihre zentrale Kernaufgabe sehen, um diese als „follower“ auf Linie zu halten, aber darin latent auch ihre Grenzen erfahren, gar selbst die Führungskräfte zu „Problemfällen“ werden, da geschätzt bis zu 60% der deutschen Arbeitnehmer wegen ihrer Führungskraft kündigen.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine immense Anzahl von Mitarbeitenden zu Führungskräften erkoren, ohne dass diese wirklich irgendeine Führungsqualität haben: Es ist sogar zu vermuten, dass die tatsächliche Anzahl an Führungskräften eher abgenommen und die Managerklasse extrem zugenommen hat.
Außer einem Anpassungsdenken in Form von Projekten und Prozessen haben diese klassischen Führungskräfte vielfach nicht wirklich bedeutsames für die „dMobility-Generation“ zu bieten. Sie sind zwar stark dabei, ihre Mitarbeitenden zu managen bzw. als Planer, Organisatoren und Controller zu wirken, jedoch haben sie „keine Stimme“, um innovative Mitarbeiter zu erreichen: Das begrenzte Kommunikationspotential von klassischen Führungskräften überrascht immer wieder („I lost my voice“). Deshalb trennen sich klassische Führungskräfte und Innovatoren immer rascher.
(*) Die Universität St. Gallen hat sich als eine der ersten Institutionen in Europa mit dem entwicklungsorientierten Management auseinandergesetzt, d.h. mit Fragen, wie sich Unternehmen selbst in komplexen und vernetzten Zeiten entwickeln und verändern können.
Sind Entrepreneurship, Intrapreneurship oder agile Business Innovation in den Köpfen deutscher Unternehmen angekommen?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
„Buzzwords zur Unternehmensentwicklung“ waren schon immer Teil der offiziellen Unternehmenssprache, das heißt jedoch nicht, dass sie gelebt werden. Man teilt diese neuen Begriffsbilder und prüft sie vorrangig darauf ab, ob sie dazu beitragen, das bestehende Kernsystem und die bestehenden Kernprozesse zu optimieren, aber auch absichern, dass sich die Strukturen, Kulturen und Strategien des Unternehmens nicht wirklich verändern. Man akzeptiert, was zu keinen fundamentalen Veränderungen führt.
- Agilität wird beispielsweise besonders stark auf die Agenda gesetzt, um Mitarbeitende zu „digitalaffinen beschleunigten Projekt-/Prozessmanagern“ zu qualifizieren (Scrum-Master). Der Einzelne wird „schneller gemacht“ durch eine „Ongoing-Vernetzung“ miteinander und mit dem Kunden. Agile Rahmenbedingungen entwickeln sich hingegen nur schleppend.
- Entrepreneurship repräsentiert einen Gründungsgeist. Das Ziel eines Entrepreneurs ist es, ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln, z.B. sogenannte Green Business Models. Aus Sicht von zahlreichen Konzernen und Mittelstandsunternehmen wird Entrepreneurship als Zukauf von Startups oder die Kooperation mit Startups verstanden. Entrepreneurship hilft also den einen ihre „innovationsbasierte Selbstständigkeit“ nach ihrem Wertesystem zu leben (Startups), während es den anderen (tradierteren Unternehmen) dabei hilft, Forschung und Entwicklung an Startups „outzusourcen“, die Kapazitäten haben, um an Zukunftsinnovationen zu arbeiten. Die Aufgabe von Unternehmen ist dann eher eine Managementaufgabe, nämlich über eine „Pipeline“ an die Ergebnisse von passenden Startups zu kommen (Ziel: aufkaufen oder beteiligen). Management tritt anstelle von (eigener) Innovation.
- Das Thema Intrapreneurship ist kaum in Unternehmen verankert. Für viele Unternehmen ist es nach wie vor enorm schwierig, sich von innen heraus zu innovieren, da die Effizienz des Alltags Neues begrenzt. Wenn Veränderungen anstehen, dann wird nach einem professionellen Change Management gerufen, ein Ansatz, um die Begrenzungen für Neues zu überwinden, Widerstände zu reduzieren und einen Phasenprozess für Veränderungen systematisch aufzubauen: Meist klappt dies trotz der bemühten Unterstützung aus der „Change-Industrie“ nicht.
Innovation gehört in den meisten Unternehmen grundsätzlich nicht zum zum Alltagsgeschäft, sondern wird bei „Druck / Bedarf“ periodisch einem „Projekt-/Innovationsteam“ (befristet) aufgetragen, um danach wieder in den Effizienzalltag, der das Unternehmen aktuell auch finanziert und Erfolg sichert, zurückzukehren.
Das Problem ist, dass viele Innovationsprojekte versanden. Ein Faktor hierbei ist, dass Führungskräfte und Mitarbeitende selten in einem Projekt auf „Innovation switchen“ können und zu wenige Beteiligte eine Innovations-DNA haben oder zur Verfügung stellen wollen (Incentive-Frage).
Die Führungskraft bzw. ein Projektleiter ist somit per se kein „Innovation Leader“: Innovationsfähigkeit muss man latent trainieren und praktizieren, ansonsten kann man Innovation verlernen. Zudem sind selbst bei „gutem Willen“ einer Führungskraft vielfach die bestehenden Rahmenbedingungen kontraproduktiv.
Die überwiegende Anzahl an Intrapreneuren scheitert also nicht nur an einem „innovation lack“ ihrer eigenen Person sowie Ihrer Co-/Teampartner, sondern vor allem an den tradierten Strukturen und Kulturen.
Fazit: „Buzzwords“ können durchaus eine Orientierungshilfe für Neuentwicklungen bieten, die allerdings immer mit bestehenden Wertemustern konkurrieren: Der Eintritt in die Kraftfeldanalyse zwischen verschiedenen „Stakeholdern“ (z.B. zwischen innovators, eary adopters, early majority, late majority and laggards) zeigt dann rasch auf, ob sich was wann und ob überhaupt durchsetzen kann.
Jedes „Buzzword“ stellt ein neues „Narrativ“ für das Unternehmen dar, das man als Führungskraft, als Geschäftsführung authentisch in der Kommunikation vermitteln müsste: Wenn dies nicht gelingt, so bleiben aus einer angedachten Neuausrichtung wieder mal mehr „Worte als Taten“ in Unternehmen übrig.
Gibt es einen Unterschied zwischen den Generationen?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Festzuhalten ist, dass sich Innovatoren auch generationsübergreifend verzahnen. Damit vereinen sich viele Motive bzw. Interessen unter dem Dach der Innovation: Einerseits die jüngeren, digitalaffinen Mitarbeitenden und andererseits die „reiferen“ Innovatoren in einem Unternehmen, die gemeinsam bei ca. unter 20% in einem Unternehmen liegen und die bisher durch „Weiter-so-Einwirkungen“ von der Mehrheit eher zur Seite gedrückt wurden.
Sowohl die Digitalaffinen als auch die Digitalfremden, aber dennoch Innovationsfreudigen werden von einer gemeinsamen Modernisierungs- bzw. Fortschrittsphilosophie in ihrer DNA getragen (shared values). Die Innovatoren – welcher Generation auch immer – verbinden sich somit und gewinnen gemeinsam an Kraft, was ihre Position in einer „Kraftfeldanalyse“ verändern kann (early adopters versus late majority) und der Innovationsdruck zumindest spürbarer, da vereint, im Unternehmen ankommt.
Das Gefühl für „verschiedene“ Generationen wird durch die Chancen der Digitalisierung erlebbarer, wobei langjährige Führungskräfte erfahren, dass sie sich in diesem Feld der Digitalisierung im Vergleich zu einer jüngeren (meist, aber nicht nur akademisierten) Generation (fast) auf der Standspur fortbewegen.
Die Digitalisierung ist zu einem sichtbaren Distinktionsmerkmal zwischen den Generationen geworden: Virtuelle Meetings werden beispielsweise für die einen zu einem Mindeststandard; klassische Meetingrituale der anderen verpuffen in der Virtualität.
Die stärkere Beherrschung der Möglichkeiten der Digitalisierung durch die jüngere Generation führt dazu, dass diese auch mutiger geworden ist, sich außerhalb der bestehenden mittelständischen oder größeren Unternehmen zu etablieren, um als „Digital Natives“ nicht nur „ihre“ Kernkompetenz, sondern damit verbunden „ihren“ Lifestyle weiterzuführen.
Selbst innerhalb der jüngeren Generation (auch zwischen Hochschulabsolventen) hat sich ein Wettbewerb (eventuell auch ein Druck) um diese Digitalkompetenz herum entwickelt, die die eigene Kompetenzaktie in so besonderem Maße stärkt.
Die jüngere Generation ist durchaus aufgeschlossener, sich in neuen Unternehmensformaten (Startups oder Innovation Labs/Hubs) einzubringen und sie stecken sich mehr und mehr durch einen Innovation Spirit bzw. Mindset (shared value) gegenseitig (auch über „ihre“ Social Community-Kanäle wie LinkedIn o.ä.) an.
Durch die „Ausweichoptionen“ wird die Zahl an Innovatoren in langjährig bestehenden Unternehmen (trotz aller Rekrutierungsbemühungen) geringer, soweit die Unternehmen nicht auf der Ebene von gleichartigen Rahmenbedingungen (Strukturen und Kulturen) mithalten.
Aus unternehmerischem Konservatismus droht rasch unternehmerische Sklerose zu werden. Deshalb haben etablierte Unternehmen auch seit ca. einer Dekade damit begonnen, der neuen Generation „Parallelorganisationen, wie Garage, Hubs, Labs, Campus, anzubieten, um ihnen auf sie zugeschnittene Handlungsräume zu geben: Neue Arbeitszeitsysteme, Gestaltungsfreiräume oder Eigenständigkeit für Initiativen.
„Spaß“ (früher sagte man Motivation), einen bzw. „ihren“ Lifestyle und Experimentier- und Entwicklungsfreude stehen im Vordergrund, um durch all diese Flexibilisierungsangebote innovations- und digitalbegeisterte Leistungsträger für das Unternehmen zu generieren und zu binden.
Dennoch, die Mehrheit der Führungskräfte passt mit den vorherrschenden Rollenmustern nicht zu den neuen „Organisationsformaten“. Führungskräfte versuchen zwar auch die Welt der Innovation nach dem „Führungssystem der Vergangenheit“ zu managen (also zu planen, zu organisieren oder zu controllen), um durch dieses Management von Innovationen (Go & Stop) selbst erfolgreich im Unternehmen zu sein, aber sie verstehen damit Innovation mehr als Managementaufgabe und nicht als ihre Realität:
Dies würde es erfordern, dass sie selbst Innovationen herstellen, vorleben und Macro-Leadership betreiben (also in Strategie, Struktur und Kultur eingreifen), beispielsweise „frame setter“ für Innovationen werden. Da sie das in der Regel nicht gewährleisten (können, wollen, dürfen), sind sie nicht authentisch für die nachfolgende Generation.
Was macht Unternehmen innovationsfähig und warum sollten sie es sein?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Innovation ist eine Option auf Wertschöpfung. Nicht jedes Unternehmen muss in seiner Strategie, Struktur und Kultur innovativ ausgerichtet sein: Alternativ genügt eine Produktinnovation, um diese zumindest über eine Dekade hinweg profitabel unter Effizienzgesichtspunkten zu guten Erträgen für das Unternehmen zu vermarkten.
Bevor sich diese Produktinnovation erschöpft hat, beteiligt man sich an anderen erfolgreichen Unternehmen oder man begründet eventuell ein neues Kernprodukt, sodass sich Unternehmer (Führungskräfte) von einer „Effizienzwelle“ zur nächsten bewegen.
Der Vorteil ist: Sie können ihre einmal erlernten Führungsmuster latent über Jahre hinweg weiterführen. Wenn in dieser Denkweise doch etwas „schief“ gehen sollte, dann rettet man sich über außergewöhnliche Abfindungen und hohe Pensions(Aktien-)ansprüche.
Es gibt eine hohe Anzahl an Führungskräften, die deshalb kein Interesse an Innovationen haben bzw. keinen persönlichen Vorteil in der Arbeit mit Innovationen sehen (teilweise sich auch eingestehen, dass sie davon ohnehin nichts verstehen oder ihnen ein Engagement einfach zu anstrengend ist) und sie sich letztlich dennoch – auch ohne Innovation – überdurchschnittlich kapitalisieren können.
Innovationsfähig sind Unternehmen, die sowohl über eine haptisch erlebbare (High-Tech-) Innovationskultur als auch über ausgeprägte (fast charismatische) „Innovation Leader“ verfügen.
Das wichtigste „Innovations-Tool“ für Unternehmen sind Führungskräfte mit ihrer Begeisterung für eine oder mehrere Idee(n), für Antizipieren (Visionieren) und für Ausprobieren (Implementieren). Wie bereits angedeutet, ist in vielen Unternehmen die Bezeichnung Führungskraft inflationiert genutzt worden, um Vielen mehr Anerkennung und Status (zusätzlich zur Entgelthierarchisierung) zu geben: Wirkliche Führungskompetenzen haben diese nicht!
Einem Innovation Leader hingegen geht es nicht um Status, Position, Karrieren, sondern um die Herausforderung, den Spaß am „Musterbrechen“ bzw. an Neuem in einem „atmenden / flüssigen (liquid) System“:
Sie leben ihren Antreiber und fokussieren darauf ihre Fertigkeiten. Sie sind mehrheitlich „ambidextrös“ ausgerichtet, also in der Lage, in einer Effizienzmechanik Bestehendes zu verfeinern und in einer Innovationsdynamik Neues zu gestalten. Diese Rollenflexibilität stößt bei der Mehrheit an Kolleginnen und Kollegen auf wenig Popularität.
Innovation Leader werden wissenschaftlich (theoretisch) dem „transformational (in wenigen Fällen zusätzlich dem charismatic) Leadership-Ansatz“ zugeordnet: Es sind also Persönlichkeiten, die bewegen, transformieren, verändern; Menschen die vielfach in einem System „nerven“.
Man kann die Innovation Leader in der Rollenausübung durchaus als „Macro Leader“ charakterisieren, die einerseits Innovationskonzepte generieren und sich andererseits von (zu starker) personalerischer Verantwortung freischwimmen wollen, um ihren Raum bzw. ihre Kapazität für Ideen zu erhalten.
Das ist durchaus auch „egoistisch gedacht“, da man sich nur auf das fokussiert, was man mit Leidenschaft als Ziel verfolgen bzw. „erleben und leben“ möchte. Besonders fokussiert der Innovation Leader seine Rahmenbedingungen, die nicht perfekt sein müssen, aber die er strategisch, kulturell und strukturell nach seinem Innovations-Mindset beeinflussen kann.
Gelingt dies nicht, wechselt der Innovation Leader: Die heutige Generation wechselt das Unternehmensumfeld (teilweise auch innerbetrieblich) zwischen 5 bis 8 Mal; in den USA liegt diese Quote bei ca. 10 – 12 Mal.
Sind Effizienz und Kreativität nicht ein Widerspruch in sich?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Effizienz und Kreativität können sich gegenseitig befruchten, wobei es Voraussetzung ist, dass sich das Unternehmen mit seinen Mitgliedern als ambidextres (zweiseitiges, Innovation und Effizienz verbindendes) System versteht.
Momentan kanalisieren Unternehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die eine Richtung (Prozesse und Projekte zur Optimierung der Effizienzideologie) oder die andere Richtung (Parallelbereiche zu Generierung neuer Geschäftsmodelle oder zielgerichtete Innovationsprojekte auf Zeit).
Die Zukunft müsste sein, Innovationskulturen und Innovationsstrukturen aus den Sonderbereichen bzw. Parallelorganisationen in die bestehenden Unternehmensbereiche zu implantieren, sodass die Mitarbeitenden in einem kreativen Umfeld auch ihr Tagesgeschäft erledigen, aber problemlos – in schneller Taktung – Innovationskommunikation und Innovationskooperation leben können, ohne den Bereich verlassen zu müssen.
Dieses Format zeigt aber auch eines: Innovationskulturen sind Hochleistungskulturen. Wer dort arbeitet, ist äußerst selbstorganisiert, auch im Zeitmanagement, denn er bewegt sich zwischen der Erledigung von Kernaufgaben und der Entwicklung von Innovationsaufgaben latent hin und her. „Geschwätzige und zeitraubende bzw. langwierige Meetings“, wie sie mehrheitlich existieren, oder „narzistische Chefattitüden“ sind in diesen Systemen unerträglich und unerwünscht.
Meetings werden über neue Kanäle (Slack, Trello) vorbereitet bzw. unterstützt; die Kommunikation läuft latent über derartige „Kollektiv-Mail-Systeme“. Jeder ist sich bewußt, dass Meetings sehr gut vorbereitet sein müssen und noch besser zeitlich abgewickelt werden müssen (auch über Home Office oder Zuschaltung vom Kunden oder vom Ausland, in Zukunft auch holographisch).
Damit greift Innovation auch in die Kommunikation und Kooperation in sehr effizienter Weise ein, um die Zeitersparnis wiederum für Kreativitätsprojekte zu nutzen. Für Chefs bedeutet diese Neuerung einen Verzicht auf ihre Informationsmacht: Sie bilden nicht mehr das Drehkreuz für Wissen, sondern sie sind eher Koordinatoren des Wissensaustauschs und müssen darauf achten, andere nicht zu behindern bzw. in der „Dynamik an offengelegten Informationen“ nicht den Anschluss zu verlieren.
Zudem: Innovatoren akzeptieren durchaus, dass der Innovationsbereich keine (reine) „Spaßwelt“ ist, um den persönlichen Lifestyle immer weiter zu maximieren: Innovationswelten sind einerseits ausgeprägte High-Tech-Welten, in der ambidextriefähige Innovatoren eine höhere Performance bzw. eine umfassende Leistungs- und Einsatzbereitschaft bereitstellen.
Damit besteht die Anforderung seitens der Innovatoren an sich selbst, Kreativität und Effizienz tagtäglich unter „einen Hut“ zu bekommen, was manchen klassischen Mitarbeiter in seinem beständigen 9/5-Modus eher befremdlich erscheint.
Mit welchen Anreizen können Unternehmen den Innovationsspirit fördern?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Üblicherweise bietet die Geschäftsführung ihren Führungskräften und Mitarbeitenden ein mehr oder weniger breites „Cafeteria-System“ an, sodass man mitentscheiden kann, auf welche materiellen und immateriellen Angebote der Einzelne zugreifen möchte: „Jeder für sich“!
Das Cafeteria-System wird neuerdings um zwei Anreizsysteme ergänzt: (1) „Anreizsystem – Digitalität“: Die Incentivierung geht zunehmend auch über eine „strukturelle Erneuerung der Arbeits-/Rahmenbedingungen“, beispielsweise zu einer „Digital Work Environment“. Arbeitsplätze werden in (5G-basierten) Arbeitsumgebungen mit High-Tech-Charakter umgewandelt, in denen beispielsweise Digital Coaching / Learning-Areas, Events / Messen-Hubs mit Studios, Kernarbeitsplätze neben Innovations-Cubicles, Meetings-/Brainstorming-Spaces und vieles andere zugleich und zeitgleich (multifunktional – Routine- und Kreativarbeiten parallelisierend) existieren (basierend auf Holographie, Sensorik, Robotik, 3-D-Druck, Online-Übertragungsmedien und vieles mehr).
Aktuell werden zahllose Aktionen nicht nur aufwendig geplant und organisiert, sondern diese Aufgaben werden bei periodischer Wiederholung immer wieder mit demselben zeitlichen Aufwand geplant und organisiert: Die Mitarbeitenden betreiben somit für jede Alltagsaufgabe, egal ob neu oder wiederholend, denselben immensen Aufwand … und für Kreativarbeit, wenn überhaupt Zeit dafür ist, muss man „woanders“ seinen Raum suchen.
Somit wird die bisherige Kultur an Geschäfts-/Auslandsreisen, an externen mehrtägigen Fortbildungen in Tagungshotels, an einer Menge an Dienstwagen und Parkplätzen, an der permanenten persönlichen Anwesenheit bei Meetings, an qm-bezogenen großen Unternehmenseinheiten in ihrer Häufigkeit immer weniger anzutreffen sein; die Multifunktionalität der Arbeitsumgebung wird zunehmen. Diese digitalen Alternativen zur „alten Arbeitswelt“ müssen systematisch gestaltet bzw. aufgebaut werden.
Doch die Digitalisierung von Strukturen und Kulturen bzw. ganzer Bereiche (Etagen) ist vielerorts eine Herausforderung, da oftmals „Digitalisierungsmanager bzw. Innovationsarchitekten“ fehlen, die dies gewährleisten können:
Die bisherigen Führungskräfte und Geschäftsführungen haben zumindest bis 2020 unter Beweis gestellt, dass ihnen Digitalisierungskonzepte für die betriebswirtschaftlichen Kernbereiche fehlen; fast alle Ressourcen wurden in die Produktion und periodisch in die Optimierung von Prozessen investiert. (2) Das „Anreizsystem – Innovation Impact“ bezeichnet die Fähigkeit, den Unternehmenswert neben Wachstum und Profitabilität auch über Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen und/oder über eine Gemeinschafts- und Gesellschaftsbedeutung darzustellen.
Unternehmen, die beispielsweise ihren „green value“ nicht öffentlich abbilden können, werden verschwinden, auch weil die eigenen Mitarbeitenden nicht mehr hinter solchen ressourcenverschwenderischen bzw. veralteten Arbeits- und Produktionssystemen stehen.
Die neue Generation hat ein „feines Gespür“ für gesellschaftlichen Wandel und fordert dies heutzutage (über verschiedene mediale Kanäle) auch eingehender ein. Diesen Wandel gilt es in die Kommunikation zur Zukunft eines Unternehmens aufzunehmen und eine „spannende Story der Weiterentwicklung“ des Unternehmens aufzubauen und zu kommunizieren (innovationsbasierte Narrative).
Eignet sich die Integration von Innovation für jede Branche und Betriebsgröße?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Innovation ist keine Spezialität von Start-Ups: Diese sind nur Vorbilder einer Welt, die Innovation eine passende Heimat gibt. Gerade in mittelständischen und großen Unternehmen gibt es immer wieder den Wunsch nach einer Transformation der eigenen Unternehmenskulturen und Unternehmenstrukturen wobei die Diskussion hierzu vom Alltagsgeschehen entschleunigt (verdrängt) und durch die kurzfristige Ausrichtung auf mehr Profitabilität oder zu mehr Stabilität zugeschüttet wird.
Auch die Nachfolger, von mittelständischen Familienunternehmen möchten dieses in Zukunft anders führen als bisher, vor allem auch ein Stück weit mehr Spaß im (informelleren) Miteinander, rascheren Fortschritt durch neue Konzepte und bessere Balance zum Privatleben haben.
Es kann zudem vermutet werden, dass die ca. 80000 gesuchten UnternehmensnachfolgerInnen dadurch in größerem Umfang gefunden werden könnten, wenn man auch Innovatoren als Nachfolger zulassen würde, die ansonsten in Startups gehen. Allerdings suchen Unternehmenseigentümer meist „sich selbst in einer jüngeren Ausführung“.
Übergreifend lässt sich für alle Unternehmensformen und Branchen sagen, dass Innovation sehr positiv besetzt ist, wobei die Einen Innovation vorrangig als Prozess- oder Produktinnovation verstehen und die Anderen Innovationen auch für eine Struktur- und Kulturinnovation berücksichtigt sehen wollen. Damit bleibt Innovation ein Querschnittsthema über alle Bereiche eines Unternehmens hinweg und auch Unternehmen verbindend.
Was darf Innovationsfähigkeit kosten?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Oftmals wird Innovation mit noch höheren Mehrausgaben in Verbindung gebracht. Unsere Erkenntnisse ergeben ein anderes Bild: Derzeit entwickeln Unternehmen hohe Ausgaben in Bereichen wie die Organisation von Messen / Kundengesprächen zur Produktvorstellung, von Fortbildungen / Coachings, von Meetings / Projekten, von Rekrutierungen und Assessment Centers, von Geschäftsreisen / Fuhrparks. Überall „isolierte Kostenstellen“, die zusammen gerechnet kostenintensiv sind.
Andersartige Optionen werden selten oder sehr vorsichtig kreiert, z.B. auf die vorgenannten „Innovationsarchitekturen“, in denen schrittweise auf Holographie, auf Sensorik, auf Artificial Intelligence und andere innovative Formate zugegriffen wird, um die verschiedensten Tätigkeiten von einer(!) Digital Work Environment aus zu steuern.
Die Digitalisierung wird zahlreiche dieser Einzelkosten reduzieren und (vor allem auch durch kleinere Büro-/Verwaltungseinheiten) zu Einsparungen führen, die dann in eine höherwertige Digitalisierung reinvestiert werden.
Gerade die gesellschaftliche Vorstellung, alle Arbeitnehmer auf einen Zeitkorridor zwischen 0800 und 1600 in einem Hause (Gebäude) unterbringen zu müssen, klingt in einer digitalen, aber auch ressourcenschonenderen und kostenbewussteren Welt „seltsam“.
Die Chancen der Digitalisierung werden gerade erst wahrgenommen: Momentan haben wir den kleinsten Nenner, nämlich Online-Meetings am Laptop, als Herausforderung aus einer (ersten) Pandemie-Krise erkannt.
Weiterführende digitale Konzepte für Unternehmen werden mit der Einführung der 5G-Technologie ermöglicht, sodass Unternehmen beispielsweise bis zu 16 Stunden ihre Einheiten „digital“ geöffnet halten können, womit die Mitarbeitenden entsprechend ihrem zeitlichen Bedarf Vor- oder Nachmittags oder Spätnachmittags ihren zeitlichen Arbeitseinsatz selber definieren können.
Von der Analyse bis zur Umsetzung: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Innovationstools?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Üblicherweise werden hierzu Kreativitätstools wie Design Thinking oder Innovationsinstrumente wie Apps für das Ideenmanagement diskutiert.
Die wichtigsten „Tools bzw. Hebel“ für Innovationserfolg sind
a) eine Geschäftsführung (Senior Management), die Interesse, Aufgeschlossenheit und Willen zeigt, das Unternehmen als einzigartige sowie kulturelle und strukturelle innovative Marke am Markt sichtbar zu platzieren,
b) ein „implementationstaugliches (reifegradbezogenes) Konzept zur Zukunftsstruktur und Zukunftskultur (Future Foresight)“ eines Unternehmens sowie
c) mehrere „Innovation Leader“, die diese Konzepte mit ihrer Leidenschaft und Resilienz vor Ort durchsetzen.
In der Regel existieren alle drei Merkmale nur selten in einem klassischen Unternehmen.
Was können Innovationsagenturen für Unternehmen leisten?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
BeraterInnen, TrainerInnen und Coaches sind starke Impulsgeber und Verstärker für diejenigen, die sich für Innovationen interessieren und Innovation im Unternehmen vorantreiben wollen. Viele Innovatoren in Unternehmen benötigen „Tankstellen“, die ihnen Energie und Unterstützung zuführen. Deshalb dienen externe Innovationsagenturen dazu, Innovation in Unternehmen zu (re)vitalisieren oder zu katalysieren.
Eine externe Beratung impliziert einerseits eine mangelnde Innovationskraft im Unternehmen, aber andererseits eine Bereitschaft, Neues zuzulassen und auszuprobieren. Das Problem ist, dass sich dieses Innovationsengagement (auch seitens von Externen) mittelfristig nicht im Unternehmen halten lässt. Dazu wechselt die Agenda der Geschäftsführung (oder das Personalkarussell) zu rasch.
Erst wenn InnovationsberaterInnen und InnovationstrainerInnen auf „flüssige, innovative Strukturen und Kulturen“ in einem Unternehmen treffen, werden sich deren Konzepte schneller und langfristiger halten und umsetzen lassen. Beratung und Training sollte also nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf die Kultur und Struktur ausgerichtet sein, sodass innovationsfreundliche Einzel-Interventionen wirken.
Wie schwierig ist es für Unternehmen den externen „Innovationsdoktor“ zu rufen?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Beratungen stoßen bei den ersten Gesprächen zum Thema Innovation rasch auf „viele Fragezeichen“, da Neuland für Viele. Innovation findet meist eher in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung statt, ist hoch technologiegeprägt und trifft in den typischen Managementbereichen eines Unternehmens auf wenig Kenntnis (aber oftmals auf Begeisterung einzelner Akteure).
Der „Innovationsdoktor“ hat dort sein Problem, wo sein gegenüber ein „Medikament“ wünscht, also ein Innovationsinstrument, das die bestehenden Prozesse und Projekte in noch optimalerer Weise (rasch) erneuert. Falls das passende Instrumentenrepertoire nicht dabei ist, wird der Doktor gewechselt. Langen Atem haben Führungskräfte / Geschäftsführungen nicht oder dürfen es – u.a. durch die Kosten für ein Unternehmen – nicht haben.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmen aus?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Zunächst einmal hat das Corona-Jahr das bisherige Buzzword Digitalisierung in die Realität aller Bereiche eines Unternehmens mit Schnelligkeit und Zwang transportiert:
Vorher war Digitalisierung ein schwerpunktmäßiger Faktor sowohl der IT (die wiederum keine Innovationsexperten sind) als auch der Forschung & Entwicklung, die mit ausgewählten Technologien hochspezialisiert arbeiten.
Nun erhalten „alle“ Prozesse und Bereiche ein Digitalgewand und werden zunehmend über Plattformen (Clouds) abgewickelt. Das beschleunigt vieles im Tagesgeschäft, verringert derzeit die Begegnung, die persönliche Interaktion und den Spaßfaktor.
Die bisherigen Digitalisierungsanstrengungen wurden in dieser Phase in der Regel auf die Mitarbeitenden abgewälzt und das mittelfristige Gefährdungspotenzial liegt in einer noch schnelleren Austauschbarkeit und einem stärkeren Druck zur virtuellen Verfügbarkeit bei den Mitarbeitenden.
Ob die Corona-Krise auch eine stärkere Innovationsleistung mit sich bringt, ist nicht absehbar: Die Umstellung auf Online-Meeting-Anbieter ist keine innovative Leistung, höchstens man startet bei „Null“.
Deutschland wird bei allen Innovations-Rankings stets im vorderen Feld genannt. Das hat allerdings eher mit der Anzahl der Patentanmeldungen und den technologiestarken (Maschinen-)Produkten zu tun. Damit sind vor allem die Ingenieure für diesen Erfolg zu loben.
Innovationsprodukte für den Konsum oder für den Unternehmensalltag (Strukturen und Kulturen) prägen deutsche Unternehmen nicht: Wir erleben Museumslandschaften. Die jüngere Generation erwartet jedoch gerade in diesen Bereichen in schnelleren Zyklen ein mehr an Digitalkonzepten, gegebenenfalls auch um an deren Einführung und Umsetzung mitzuwirken.
Für wie wettbewerbsfähig halten Sie Studierende aus Deutschland im internationalen Vergleich?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Innovation ist immer auch auf Talente ausgerichtet. Jeder Innovator ist auf der Suche nach Gleichgesinnten, an „Soulmates“. Die Studierenden heute sind durchaus leistungsbezogen (mehrseitig interessierter) und legen größeren Wert auf den „Engagement“-(manchmal Entertainment-)Faktor: Deshalb ist auch der Erfolgs- und Erwartungsdruck bei den Studierenden durchaus hoch, im Bildungssystem „Made in Germany“ zu reüssieren.
Innovation (basierend auf einem Digitalisierungs- und Technologieverständnis) ist auch deshalb aus Sicht der Studierenden spannend, da sie in diesem Feld auf Gleichgesinnte in der ganzen Welt treffen. Innovation ist somit eine Brücke – verbindet weltweit eine junge Generation. Immer seltener wollen sich Studierende als nicht-innovativ und nicht-digital charakterisieren, was jedoch einen enormen Druck auf Studierende mit sich bringt, auch auf diejenigen, die sich nicht von dieser „Welle“ angesprochen fühlen.
Welche Unterschiede nehmen Sie zwischen Studierenden aus dem Inland und dem Ausland wahr?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Drei Spots, drei Klischees:
(1) Kommunikation und Kreativität scheinen bei ausländischen Studierenden oftmals rascher herstellbar, während das strukturierte und fundierte Wissen bei deutschen Studierenden stärker wirkt.
(2) Das zeitliche Engagement (Wochenzeit) für den Job wird bei deutschen Studierenden vielfach stärker „controllt“ als bei ausländischen Studierenden.
(3) Während der Verbleib von ausländischen Studierenden (Mitarbeitenden) in einem Startup längerfristig angelegt ist, überprüfen die Mehrzahl der Mitarbeitenden in einem Startup nach zwei bis vier Jahren ihren Mehrwert bzw. Verbleib im Startup.
Interessanter ist jedoch, dass Unterschiede in der Zielsetzung zwischen in- und ausländischen Studierenden kaum bestehen, sondern die „Narrative“ rund um die (grüne) Innovation und Digitalisierung global verbindend wirken.
Dabei helfen auch die neuen „Communities“, um sich mit Gleichgesinnten (egal an welchem Standort) schnell zu vernetzen, aber auch die „coolen Hotspots“ wie Tel Aviv, Silicon Valley, Singapur und neu auftretende Zentren der globalen Startup-Szene gerade in Indien und China.
Kann eine Hochschule als Institution mit der Dynamik digitaler Transformation überhaupt mithalten?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Hochschulen realisieren ihre Studiengänge immer stärker in Kooperation mit Unternehmen oder anderen Institutionen; Professorinnen bzw. Professoren an Hochschulen treten dabei noch umfassender als Forschungs-/Transferpartner in Erscheinung.
Sie sind vielfach Sparringpartner auf Augenhöhe bzw. etablieren sich als Think Tank für neue Technologie-, Digital- und Innovationsentwicklungen, manchmal sind sie gar diejenigen, die die Konzepte für Unternehmen hinsichtlich ihrer digitalen Transformation schreiben oder diese Digital- und Innovationsprozesse mit einführen.
Gerade auf diese Digital-, Innovations- oder Technologiekompetenz wird immer mehr seitens der Hochschulpolitik mit geachtet, beispielsweise indem explizit Forschungsprofessuren für diese „High-Tech-Anforderungswelten“ ausgeschrieben werden.
Absolvent*innen des Masterstudiengangs Applied Business Innovation landen bei namhaften Unternehmen, gerade im Raum München. Wie gut sind Absolvent*innen der HM auf den Job als Asset Manager*in, Vorstandsassistent*in oder im Strategischen Controlling vorbereitet?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Ca. 90% unserer Studierenden haben bereits vor dem Masterabschluss eine Tätigkeit. Die AbsolventInnen dieses „Master-of-Science“-Studiengangs sind besonders im Agilen Projektmanagement, im Business Development oder in allen Variationen an Innovation Units gefragt. Ca. 15% der AbsolventInnen gehen zu Start-Ups.
Studierende bekommen mit diesem Studiengang ein Gefühl für Innovation (einschließlich Strategien) und Digitalisierung (einschließlich Data Science), wobei sie selbst entscheiden können, ob sie nach dem Studium mit dem anspruchsvollen Innovationsdenken und -handeln mithalten können (wollen) oder sich dem fokussierten Bereich der Geschäftsmodellentwicklung oder einem noch weiter spezialisiertem Bereich, dem agilen Projektmanagement, zuwenden wollen.
Zentral ist, dass sie neue Fertigkeiten (unter hohem zeitlichen Aufwand) erlernen können und dass sie nach Abschluss, interessante PartnerInnen für Unternehmen sind, da diese Unternehmen gerade an diesen Stellschrauben (Innovation Concepts, Business Models, Data Management u.a.) dringend Unterstützung benötigen. Dabei sind es gerade auch die klassischen Funktionsbereiche (wie Marketing, Personal, Sales, Controlling), die jüngere Mitarbeitende dieser „Couleur“ suchen, um ihre Bereiche stärker als in der Vergangenheit zu transformieren.
Wie stark sind Frauen im Bereich Innovation vertreten?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Innovation ist ein Gebiet, das entwicklungsfreudige, digitale und kreative Menschen zusammenbringt. In diesem Bereich findet eine problemlose Zusammenführung aller Altersgruppen und Geschlechter „dieser Art“ statt. Auch bei den Neuberufungen an Hochschulen spiegelt sich ein breites Interesse wieder: Im vorgenannten M.Sc. Applied Business Innovation liegt der Anteil an Professorinnen bei fast 45%, wobei die meisten Professorinnnen gegenwärtig unter 45 Jahre alt sind.
Digitalstarke Studiengänge weisen durchaus hohe Zahlen an Studienbewerberinnen und -bewerbern auf, da die typischen und oftmals bei einer Bewerbung auf Vorbehalt stoßenden IT-Vorkenntnisse (Programmierungen) entfallen. Im Sonderbereich Entrepreneurship finden immer stärker zu verzeichnende Förderungen statt, zur Unterstützung von Gründungen im Allgemeinen, aber auch zur Unterstützung von Unternehmensgründerinnen im Besonderen (ca. ¼ aller Gründungen werden derzeit von Frauen realisiert).
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Prof. Dr. Wolfgang Habelt
Abseits von zusammengestückelten Powerpoint-Folien ein größeres Verständnis von Führungskräften für fundierte Innovationskonzepte für alle Bereiche des Unternehmens, gerade auch für die Binnenorganisation bzw. den Motor eines Unternehmens. Nach wie vor ist Innovation Kernthema des F&E-Bereiches und vorrangig auf die Produktentwicklung, ab und zu auf eine Prozessinnovation bezogen.
Darüber hinaus zeigen die meisten Führungskräfte individuell zwar eine große Freude über das Thema Innovation und Digitalisierung zu sprechen, aber tatsächlich innovative Strategien, Konzepte, Strukturen oder Kulturen sind äußerst selten in vielen Bereichen anzutreffen.
Für viele Chefs ist die Arbeit an der Zukunft bzw. an Themen, die nicht der kurzfristigen Optimierung von Effizienz dienen, eine zusätzliche Belastung: Sie geraten hier in eine Rolle, in der sie sich auch nicht wirklich wohl fühlen.
Das Vorsichts-Management hat in dieser „Krisen-Dekade“ eher zugenommen, weshalb die „Arbeitsteilung“ auch stärker akzeptiert wird, dass Innovationen externalisiert, insbesondere über Startups geführt werden können (die dann das Anfangsrisiko tragen). Es erschreckt, wenn bei unseren Untersuchungen ein Thema wie Zukunftsgestaltung so selten auf der Tagesordnung von Unternehmen ist.
Ein eigenes spannendes Zukunfts- bzw. Innovationskonzept könnte manchen Unternehmen an Attraktivität helfen: Vielleicht sogar manchen Führungskräften anstelle von mehr Geld auch mehr Sinn geben. Die Angst jedoch, an solchen Umbrüchen zu mehr Innovation mit all seinen Unwägbarkeiten gemessen zu werden, ist groß.
Vielen Dank für Ihre Zeit.
Das Gespräch führte Gesine Cody (innoXperts Strategie, Kommunikation & Senior Copy Writer)
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Hier können Sie das Interview herunterladen: Hier klicken zum Herunterladen (Format: PDF; 27 Seiten)
Weiterführende Informationen:
- Habelt, Wolfgang & Sonnabend, Michael: Führung, Wohin führst du? Wie Führungskräfte Unternehmenswerte optimieren – vergüten – bilanzieren. 2. Auflage, Oldenbourg Verlag 2013, München (als E-Book mit der ISBN: 978-3-486-72975-7).
- Habelt, Wolfgang: Innovationskonzepte. München (erscheint 2022)
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