Die Wucht der Digitalisierung „kocht“ den Bankensektor weich und lässt somit Spielraum für Disruptionen – die jedenfalls nicht von den etablierten Banken kommen. FinTechs geben hier den Grad der Digitalisierung an und setzen so das gewünschte Kundenerlebnis in die Praxis um.
Böse Zungen behaupten seit längerem, dass wir zu viele Banken haben. Deutschland gehört dabei weltweit mit ca. 1.820 Banken zur Spitze. In ganz Europa sind es ca. 5.050. Am meisten gibt es Genossenschafts- und Volksbanken – 975, öffentlich-rechtliche Sparkassen sind mit 403 vertreten sowie 6 Landesbanken und ca. 500 Privatbanken (Drei-Säulen-Modell des deutschen Banksektors). Weil aber jede von ihnen in die Rolle einer Universalbank schlüpft, sind Einbußen bei Effizienzgewinnen und Skaleneffekten an der Tagesordnung.
Bankerlebnis 2019
Den bisherigen Leitspruch „IT follows Business“ können wir mittlerweile getrost in die Ablage verschieben. Denn mehr denn je sollte der Fokus auf die Informations- und Kundenzentrierung gelegt werden. Wie das funktioniert, zeigen nicht erst seit heute diverse Apps auf unseren Smartphones.
Das beginnt bereits mit der Eröffnung eines Kontos. Dafür muss man nicht mehr eine Bankfiliale betreten. Mit dem Video-Ident-System ist man in ein paar Minuten durch und steckt sich quasi seine Bank in die Hosentasche. Überweisungen, mobiles Bezahlen oder fix mal Geld an Bekannte versenden, Benachrichtigungen für jede Transaktion, Kontostandabfrage, Investment-Portfolio, Kreditvergabe etc. sind alles kein Thema mehr. Und das zu einem Bruchteil der üblichen Gebühren bzw. gänzlich kostenlos.
Gewinnspanne für FinTechs
Auch wenn es gerne in den Medien publiziert wird, FinTechs werden den etablierten Banken mit Sicherheit ordentlich einheizen (laut Accenture Research büßen Banken bis zum Jahr 2020 über 30 % ihres Umsatzes ein), sie aber nicht verdrängen. Nur die wenigsten FinTechs wie z. B. N26 sind angetreten, eine klassische Hausbank zu ersetzen.
Grundsätzlich kann man FinTechs in grob vier Kategorien einteilen: als Bausteine in der Wertschöpfungskette, Ökosystempartner, Infrastrukturanbieter oder als Angreifer, wobei Letztere den kleineren Teil ausmachen. Das wird deutlich, schaut man sich die Investitionssummen an. Einen Anstieg um 23 % konnten disruptive FinTechs verbuchen, wohingegen kooperative FinTechs einen Satz von 29 % auf 138 % machten.
Die meisten Banken kooperieren bereits mit FinTechs, wie z. B. Deutsche Bank – Gini; Commerzbank – IDnow. Selbst PayPal investiert in Tink und nutzt deren Technologie. Tink ist ein schwedischer Anbieter, der einen Service zum Aggregieren unterschiedlicher Konten anbietet.
Banken tun gut daran, den Schulterschluss zu suchen bzw. selbst ein Startup zu gründen (jede dritte Bank hat das bereits getan). Denn mehrfach haben sie leider bewiesen, dass sie nicht Maß aller Dinge sind. Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht. In Erinnerung haben wir bestimmt noch die Versuche von Paydirekt, Yomo oder Instant Payments. Alles Initiativen, die viele Millionen Euro verschlungen haben.
Die Frage sollte also sein, wie Banken mit den technologisch überlegenen FinTechs zusammenarbeiten (bzw. sie akquirieren) können. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel, der in den Glastürmen sicherlich nicht immer auf volle Akzeptanz stoßen wird. Dennoch weg vom Anbieter reiner Finanzprodukte und hin zum Mittelpunkt eines neuen digitalen Banking-Ökosystems.
KI im Bankenwesen
Künstliche Intelligenz ist das Zauberwort für Vorstände und das Schreckgespenst für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Denn eine Studie des Weltwirtschaftsforums prophezeit, dass durch den Einsatz von KI in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Rechnungswesen und Buchhaltung um die 70 % der Beschäftigten überflüssig werden.
Das ist ein Kostenvorteil, den FinTechs bereits (mehr oder weniger) nutzen. Für Banken wäre der Vorteil, sich wieder intensiv dem Kunden zu widmen und sich nicht nur für die Dividende zu interessieren. Beratung des Kunden wird wieder großgeschrieben und mit modernen Technologien kann diese noch persönlicher maßgeschneidert werden.
Wir wissen, dass wir für einfache Bankgeschäfte keine Filiale betreten müssen, aber so ein Hauskauf per App ist nicht jedermanns Sache und die Bank ist hier klar im Vorteil. Denn der direkte Dialog (Bots und virtuelle Assistenten sind noch nicht so weit) mit dem Kunden stellt für Banken ein Mehrwert da und wird auch in absehbarer Zeit nicht ins digitale Nirvana transformiert werden.
Payment Service Directive 2 – PSD2
Nicht ganz freiwillig müssen ab September 2019 alle großen Banken den Weg für FinTechs freimachen.
„Ziel der Richtlinie war und ist es, den europaweiten Wettbewerb und die Teilnahme an der Zahlungsbranche auch von Nichtbanken zu erhöhen und durch die Harmonisierung des Verbraucherschutzes und die Rechte und Pflichten für Zahlungsdienstleister und Nutzer gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.“ – Wikipedia
Mit anderen Worten bedeutet es, dass das Monopol der Banken auf Kontoinformationen Geschichte ist. Sogenannte Drittanbieter wie FinTechs können ohne Umweg über eine Bank Bezahlvorgänge direkt auslösen. Der große Nachteil für Banken ist, dass sie dadurch den Kontakt zum Kunden verlieren können. Da ist Innovation gefragt.
Das ist auch der Grund, warum fast alle Banken mit FinTechs liebäugeln bzw. eine Zunahme an Kooperationen erwarten. Im Umkehrschluss erwarten das auch die meisten FinTechs von den Banken.
Wie dem auch sei, die Banken brauchen schnelle disruptive Innovationen und die FinTechs brauchen zügig Kunden, bevor ihr (Risiko)Kapital aufgebraucht ist. Dass so eine Zusammenarbeit nicht von heut auf morgen realisierbar ist, ist jedem bewusst. Denn ganz oben auf der Skeptiker-Agenda stehen Unternehmenskultur, IT-Sicherheit und Kompatibilität, operative Prozesse sowie unterschiedliche Zukunftsvisionen.
Fazit
Auch wenn sich alle im Moment auf die Banken und FinTechs stürzen und darüber debattieren, darf nicht vergessen werden, dass es noch andere Player in diesem Segment geben wird. Die großen Technologieunternehmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple (GAFA) haben die Macht, noch einmal ganz kräftig an der Finanzdienstleistungsbranche zu rütteln.
Mittlerweile sind bereits 65 % der US-amerikanischen Amazon-Kundinnen und Kunden bereit, ein gratis Online-Bankkonto bei Amazon zu eröffnen, wenn sie dafür eine Rückzahlung von 2 % auf alle Einkäufe bekommen würden (Quelle: Bain & Company). Sogar über die Hälfte der Jugendlichen (18 bis 34 Jahre) ziehen Bankdienstleistungen mit diesen Unternehmen in Betracht (Quelle: Accenture).
Die großen Bauchschmerzen, die Banken haben sollten, beziehen sich darauf, dass GAFAs kundenbezogen und die meisten Banken produktbezogen sind. Und somit sollte auch das Ziel der Banken feststehen: Vom produktbezogenen hin zum kundenbezogenen Handeln.
Nicht zu vergessen, dass es sich bei den jetzigen Betrachtungen mehr oder weniger „nur“ um den Zahlungsverkehr handelt. Das Traden und der Devisenhandel ist gerade dabei revolutioniert zu werden. Passend dazu erobert das Unternehmen Revolut diesen Markt. Sie haben als „Bankdienstleister“ mit Banklizenz bereits mehr als 4 Mio. Kunden und täglich kommen tausende hinzu. Mit mehr als 350 Mio. Transaktionen wurden über USD 50 Mrd. bewegt. Das sollte die Branche aufhorchen lassen.
Bleiben Sie neugierig und innovativ!
Ihr innoXperts-Team
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